767 Tage und was hat das mit mir zu tun!
Auf der Suche nach Kraftquellen, Ressourcen und Antworten auf Fragen, die mich gerade beschäftigen bin ich vor Kurzem auf »767 Tage» gestossen. Eine Zahl die mich unendlich beflügelt und ermutigt und mich immer wieder daran erinnert, welche Kraft in mir und meinen Wurzeln steckt.
Jetzt fragen Sie sich vielleicht, was daran so besonders ist.
Die Antwort ist eine kleine Geschichte
Am 08. Mai 1945 endete der 2. Weltkrieg und ja ich wusste, dass mein Vater in jungen Jahren in Kriegsgefangenschaft war und irgendwie von dort fliehen konnte, wie viele andere auch.
Doch jetzt wollte ich das mal genauer wissen und ging dem Ganzen nach. Er hatte es irgendwo aufgeschrieben und ich konnte in die Tagebuchnotizen eintauchen. Am 07. April 1945 (also 1 Monat vor Kriegsende) wurde mein Vater mit 17 Jahren überhaupt erst in die Wehrmacht einbestellt! Er gehörte zu der Generation, die noch als «Kanonenfutter» an die Front geschickt wurden. Zu seinem Glück – oder auch Pech kam er sofort in Kriegsgefangenschaft nach Frankreich. Es waren etwa 3000 Menschen in dem Lager und sie wurden übel behandelt und «dezimiert durch Verhungern» Mein Vater, über 190 cm gross, wog noch 45 kg, doch in all dem Grauen, gab es irgendwo immer wieder Menschen, die ihm ein Stück Brot zusteckten und so wahrscheinlich sein Leben retteten.
Eine für heute unvorstellbare Zeit und Tortur, doch nach 767 Tagen gelang ihm die Flucht. In nächtelangen Märschen, durch alle besetzten Gebiete zurück in seine Heimat und zu seiner Freundin. Er floh mit einem Kameraden, der leicht verletzt war und den er über die weite Strecke mitnahm. Ihn zurückzulassen war nie eine Option!
Ich hatte Gelegenheit mit Prof. DDr. Helm Stierlin darüber zu sprechen, er ist aus der gleichen Generation und sein erster Satz war «Es tut mir wirklich sehr leid, dass Ihr Vater in Gefangenschaft war»
Stille … ich war tief berührt
Noch nie hatte mir jemand gesagt, dass es ihm leid täte, dass mein Vater so lange in Kriegsgefangenschaft war und ich spürte augenblicklich, wie viel das alles mit mir zu tun hat.
Nach 767 Tagen war ihm die Flucht gelungen, er hatte es geschafft und ich bin die Tochter eines Gewinners!
Daran denke ich jetzt oft, wenn ich Kummer habe oder ungeduldig bin.
"Stell dich doch nicht so! an!"
Das Durchstehen der Gefangenschaft und die Flucht gelang meinem Vater nur mit eiserner Disziplin und Willenskraft, Gefühle hatten da keinen Platz!
Genau das warf ich ihm später immer vor: Keine Gefühle, immer nur Disziplin und Angst hatte "man" nicht… , dabei hatte er mir damit seine beste Lebens- und Überlebensstrategie mit auf den Weg geben wollen.
Ich habe viele Antworten gefunden… und neue Fragen: Wie konnte er überhaupt sein Leben meistern? Er hatte ein gutes Leben, bis er mit 84 Jahren vor einigen Jahren verstarb.
Die Geschichte ist hier kurz zusammengefasst, um auch Sie vielleicht daran zu erinnern, dass Sie unendliche Kraftquellen in Ihren Wurzeln finden können und nicht alles, was im "Kleid" von Unglück und Missgeschick erscheint nur ein Übel ist.
767 Tage!!!
Ich arbeite seit einigen Jahren mit Klienten an ihren biografischen Wegen und Entdeckungen und hatte jetzt viele Monate Gelegenheit mich mit der Familientherapeutin Dr. Satuila Stierlin, die auf Biografiearbeit spezialisiert ist auszutauschen, an eigenen Geschichten zu arbeiten, ein Seminar mit ihr vorzubereiten und viel von ihrer Arbeit zu lernen.
Wenn Sie in Ihrer eignen Familiengeschichte lesen möchten, Geschehenes neu verstehen und beseelen, können Sie mich gerne kontaktieren. info@martina-flury.ch
Gutes Gelingen Ihre Martina Flury